Es ist schon länger bekannt, dass Menschen ihre Kaufentscheidungen nicht ausschließlich rational treffen. Anstatt das preiswerteste Produkt zu kaufen, das ihre Zwecke erfüllt, greifen sie oft zu dem, das sie aus der Werbung oder dem Bekanntschaftskreis kennen – selbst wenn dieses teurer ist. Ursache dafür ist ein komplexes System evolutionär bedingter Faktoren und diverser Prozesse im Gehirn – dies lässt sich auf das sogenannte Neuromarketing zurückführen. Demnach spielen unter anderem emotionale Aspekte wie Status, Bequemlichkeit und temporärer Lustgewinn eine maßgebliche Rolle bei der Kaufentscheidung.
Oft ist sich die Zielgruppe dieser Beeinflussung ihres Handelns nicht einmal bewusst. Daher sind die Effekte in den klassischen Marktforschungsdisziplinen, die hauptsächlich durch Selbstauskünfte Daten gewinnen, mitunter stark unterrepräsentiert. Erst durch apparative Messverfahren wie EEG oder Eye-Tracking ist es möglich, diese Effekte empirisch nachzuweisen.
Wissenschaftliche Grundlagen des Neuromarketing – kurz zusammengefasst
Verantwortlich für die Effekte im Neuromarketing ist das Limbische System. Dieses ist im Gehirn zuständig für die Verarbeitung von Emotionen. Wird es auf eine bestimmte Art und Weise angesprochen, wirkt sich dies auf die Bewertung der wahrgenommenen Informationen aus.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass nicht jeder Betrachter gleich reagiert. In der Neurowissenschaft wird deshalb zwischen sieben verschiedenen Limbic Types unterschieden, bei denen die drei Emotionsräume Stimulanz, Dominanz und Balance unterschiedlich schwer ins Gewicht fallen.
Einen „Kaufschalter“ gibt es daher in dem Sinne nicht. Vielmehr handelt es sich bei den Methoden des Neuromarketing um psychologische Tricks, die analog zum konventionellen Marketing Bedürfnisse wecken bzw. verstärken und eine positive Einstellung zu einer Marke schaffen. Dementsprechend können Techniken aus dem Neuromarketing sowohl online als auch vor Ort im Geschäft in verschiedenster Weise Anwendung finden.
Die vier Grundpfeiler des Neuromarketing
Sowohl auf Websites und in E-Mail-Newslettern und Werbeanzeigen als auch zum Beispiel in Werbespots, beim Design von Produkten und Verpackungen und sogar bei der Gestaltung des Point of Sale ist es möglich, sich die Prinzipien des Neuromarketing zunutze zu machen. Dabei kommen verschiedene Effekte zum Tragen, welche dann die Kaufentscheidungen beeinflussen.
Herding
Als soziales Wesen ist der Mensch bestrebt, seine Gruppenzugehörigkeit durch Imitation zu betonen – ein Effekt, den man im Neuromarketing als Herdenbildung oder Herding bezeichnen. Wird ein Produkt von vielen Kunden empfohlen oder besonders gut bewertet, steigt dadurch das Kaufinteresse. Selbiges gilt, wenn man Knappheit suggeriert – zum Beispiel durch Hinweise auf die Anzahl verbleibender Artikel oder andere Kunden, die denselben Artikel ansehen.
Bezugspersonen, die ein Produkt empfehlen oder selbst nutzen, werden ebenfalls gerne imitiert: Ein bei der Zielgruppe beliebter Influencer oder Promi, der sich positiv darüber äußert, kann der Marke eines Unternehmens also zu größerem Interesse verhelfen.
Nudging
Auch Bequemlichkeit beeinflusst das Kundenverhalten auf verschiedenen Ebenen. Dies macht sich das sogenannte Nudging zunutze, um ohne klare Aufforderungen oder Anreize Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen. Setzen Händler beispielsweise die gewünschten Optionen im Bestellvorgang als Standard, müssen Kunden aktiv eine Änderung vornehmen, wenn sie etwas Anderes wollen. Viele Kunden wählen an dieser Stelle den einfacheren Weg – sie entscheiden sich für die Standardoption.
Umgekehrt wirken komplexe Botschaften und Inhalte abschreckend auf Kunden. Ist der Kaufvorgang zu kompliziert, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Abbruchs. Ebenso sollten sich Werbebotschaften auf das Wesentliche konzentrieren. Wird der Zuschauer durch Neuromarketing mit Reizen überflutet, ist dies seiner Aufnahmefähigkeit abträglich.
Storytelling
Damit im Neuromarketing Marketingbotschaften im Gedächtnis bleiben, haben Unternehmen also zwei Möglichkeiten: Entweder sie wiederholen sie, zum Beispiel durch Retargeting oder Erinnerungen an „vergessene“ Artikel im Warenkorb – oder sie verpacken sie in eine Geschichte. Letztere Variante führt dazu, dass die Botschaft allgemein wohlwollender aufgenommen wird und das Wesentliche besser in Erinnerung bleibt. Somit erhält eine Werbebotschaft, die Storytelling-Elemente gezielt einsetzt, mehr Aufmerksamkeit und schafft Sympathien mit den Protagonisten, die auf die Marke übertragen werden.
Priming
Ein weiterer Aspekt des Neuromarketing, bei dem Assoziationen eine tragende Rolle spielen, ist das sogenannte Priming. Dabei wird durch einen somatischen Marker – Emotionen, die mit einem bestimmten Reiz assoziiert werden – die Verarbeitung weiterer Reize beeinflusst. Wird ein somatischer Marker durch einen entsprechenden Reiz aktiviert, ist es auf diese Weise möglich, die emotionale Assoziation auf Folgereize zu übertragen.
Best Practices im Neuromarketing
Die genannten Effekte nutzen Marketing-Abteilungen seit Jahrzehnten schon erfolgreich, ohne weiter über die zugrundeliegenden Prinzipien nachzudenken. Es handelt sich beim Neuromarketing demnach nicht um etwas völlig Neues, sondern vielmehr um einen Erklärungsansatz bestehender Phänomene, aus dem sich eine Reihe Best Practices ergeben.
Empathie und Imitation als Verkaufsargumente
„Bitte zu Hause nachmachen“ – so lässt sich die Botschaft zusammenfassen, die Neuromarketing vermitteln sollte. Zeigen Unternehmen in ihrer Werbung Personen bei der Benutzung bzw. beim Konsum ihres Produkts, schaffen sie die Assoziation mit einer Steigerung des Lebensgefühls. Dadurch steigt beim Kunden das Bedürfnis, dies zu imitieren; er wird also eher zum beworbenen Produkt greifen.
Informationen liefern, die zum Kauf anregen
Wird ein Produkt von einem Prominenten oder Experten empfohlen, sollten Unternehmen nicht zögern, sich dies auf die Fahnen zu schreiben. Derartige Empfehlung können genau wie zur Neige gehender Lagerbestand oder besondere Rabattaktionen einen zusätzlichen Druck erzeugen. Und den Unentschlossenen zum Kauf bewegen. Auch dieser Effekt kann im Neuromarketing genutzt werden.
Wie Unternehmen mit Neuromarketing den Blick der Kundschaft auf das Wesentliche lenken können
Besonders geeignet, um den Fokus des Publikums zu lenken, sind Blicke. Schaut eine Person in einer Werbeanzeige auf etwas Bestimmtes, wandert der Blick des Betrachters automatisch in dieselbe Richtung. Im Neuromarketing lässt sich dies ausnutzen, um das Produkt in den Fokus zu rücken.
Reizüberflutung vermeiden
Mit Reizen soll man bekanntlich nicht geizen – übertreiben sollte man jedoch auch nicht. Immerhin lenkt Reizüberflutung vom Produkt selbst ab und behindert die Verarbeitung von Informationen. Dem Betrachter fällt es dadurch schwerer, sich später an das beworbene Produkt zu erinnern.
Das Auspacken zum Erlebnis machen
Ob nach der Bestellung im Onlinehandel oder auf der Heimfahrt vom Einkauf im Geschäft – bereits während der Wartezeit steigt die Vorfreude des Kunden. Dies gilt umso mehr, wenn bereits die Verpackung optisch ansprechend gestaltet ist. Gerade bei hochwertigen Produkten ist zudem die Freude groß, wenn der Kunde beim Öffnen des Kartons eine persönliche Grußkarte des Unternehmens vorfindet.
Die Optimierung der Marketing-Strategie anhand neurowissenschaftlicher Erkenntnisse bringt zahlreiche Vorteile mit sich. Werbebotschaften im Neuromarketing bleiben länger im Gedächtnis und hinterlassen bei der Kundschaft einen besseren Eindruck. Auf diese Weise kann man bereits durch subtile Anpassungen die Kaufbereitschaft der Zielgruppe steigern.
Ein Allheilmittel oder Selbstläufer ist das Neuromarketing jedoch nicht. Da unterschiedliche Zielgruppen verschieden auf Reize reagieren, ist es nach wie vor notwendig, diese mit gezielt auf sie zugeschnittenen Werbebotschaften anzusprechen. Nur so schaffen Unternehmen es, das Beste aus den Erkenntnissen des Neuromarketing herauszuholen.